Vier Länder in zwei Tagen - die Überführung der J/110 „JAZARA“
(30.04. - 04.05.2009)


Vorgeschichte

Schon geraume Zeit ging unser Skipper Hajo in Gedanken fremd - mit Blick auf den nahenden Ruhestand wäre ein komfortableres Schiff für Langfahrt nicht schlecht und der Wechselkurs EURO zu Britischem Pfund wurde immer günstiger. Bei den letzten Winterlagerarbeiten murmelte er was von einer J/110, die er sich in Poole angesehen und auch schon probegesegelt hätte. Aber das Schiff zeige deutliche Gebrauchsspuren und er mache dem Eigner ein leidenschaftsloses Angebot. Für den Fall der Fälle käme das lange Wochenende über den 1. Mai als Überführung in Frage.

Die Überführung

So treffen sich Reinhold, Guido und Enrico am 30. April um halb fünf auf dem Düsseldorfer Flughafen, um mit Lufthansa nach London-Heathrow zu fliegen. Dieter fliegt eine Stunde später, da unsere Maschine ausgebucht war. Wir geben unsere je zwei Patronen der Rettungswesten an und müssen zum Durchleuchten für Sondergepäck. Bei meiner Tasche behauptet der Röntgenmensch, da seien drei Patronen drin, was ich heftig dementiere. Also die neue Weste mit Reservepatrone rausnehmen, noch mal durchleuchten - da sei immer noch eine! Ich räume die Tasche aus, und tatsächlich, ganz zuunterst liegt noch die Reservepatrone meiner alten Rettungsweste. Die nimmt Elke an sich, und das Gepäck wird verladen.
Gegen 18:30 startet der proppenvolle Flieger, um um 18:50 britischer Zeit in Heathrow zu landen. Das Terminal 2 hat seine besten Tage hinter sich und wir sind froh, als wir die lange Abfertigungsschlange vorm britischen Zoll hinter uns haben.
Hajo, von Paris nach London geflogen, sammelt uns mit dem Mietwagen ein. Dann ab zum Terminal 4, um Dieter einzuladen. Endlich sind wir auf dem Weg nach Poole, wo wir trotz aller Geisterfahrer glücklich um 23 Uhr eintreffen.
Mike, der Eigner, begrüßt uns und wir bringen unser Gepäck an Bord - der Salon ist mit einemmal rappelvoll - trotz der zwei Meter mehr an Schiffslänge. Nach kurzem Rundumblick geht es weiter, Mike fährt mit Hajo, um den Mietwagen abzugeben, und sie setzen Guido und Enrico an einem 24h-Supermarkt ab, um die Einkäufe zu erledigen, während Dieter und ich das Gepäck verstauen. Guido und Enrico hetzen durch den Supermarkt, in dem sie 5 Minuten vor Mitternacht informiert werden, dass ab 0:00 Uhr kein Alkohol mehr zu kaufen sei. Also ab an die Kasse. Der Bon wird um 23:59:34 gedruckt.
Irgendwann weit nach Mitternacht sind alle an Bord und alles verstaut. Nach einer kleinen Stärkung und einem kleinen Absacker fallen wir hundemüde in die Kojen.

Am frühen Morgen begrüßt uns ein leicht diesiger Tag, der aber sonnig zu werden verspricht. Wir liegen in einem kleinen eingespundetem Hafenbecken, das zu der Feriensiedlung gehört, in der Mike wohnt und seine Segelschule betreibt. Gegen 9:45 legen wir ab, Hajo mit stolz geschwellter Brust am Steuerrad. Es geht zwischen den an Mooringen liegenden Schiffen hindurch ins Fahrwasser nach Cowes. Mike ist mit an Bord und weist uns ins Schiff ein. Die J110 ist elf Meter lang und, 3.35 Meter breit. Es gibt eine große Pantry mit riesigem Kühlfach, Gaskocher mit Backofen und Gasheizung. Die Raumeinteilung ist klassisch mit separatem Toilettenraum, in dem der durchgesteckte Mast fußt. Das Vorschiff ist äußerst geräumig und schön möbliert mit Kleiderschrank, Schubläden und großen Ablagen.
Die Fock ist zum einrollen und an Bord sind vier asymmetrische Spinnaker, die an einem Gennakerbaum gefahren werden. Unterwegs proben wir das unter Anleitung von Mike. Das Bergen des Spis geschieht durch die große Vorschiffsluke - sehr praktisch, so lange der Spi nicht nass ist.
An den Needles vorbei erreichen wir nach rund drei Stunden Cowes, das wir von der Cowes Week 2004 in guter Erinnerung haben. Hier tanken wir voll, Mike gibt letzte Erklärungen und geht dann von Bord. 14:50 legen wir ab, fest entschlossen non-stop nach Ijmuiden zu segeln.

Ab 20 Uhr steigen wir in unser Wachsystem ein - jeder macht 4 Stunden Wache, wobei die Wachen 2 Stunden Zeit versetzt sind und jeder 6 Stunden Freiwache hat. So segeln und leider auch motoren wir an der englischen Südküste dahin. Der Motor läuft zum Glück sehr rund und sonor und wird bald gar nicht mehr wahrgenommen. Um 00:40 haben wir den Leuchtturm Beachy Head querab. Im Morgengrauen taucht die steile Kreideküste von Dover an Backbord auf. Kurz bevor wir das Verkehrstrennungsgebiet der Dover-Straße queren wollen, kommt Seenebel auf, nur noch zwei- dreihundert Meter Sicht. Ich rufe Dover Coast Guard, man hat uns auf dem Schirm, aber es sind reichlich Containerschiffe South-West unterwegs. Mit flauem Gefühl machen wir uns ans Queren, alle Mann an Deck, Augen und Ohren auf, Rettungswesten angelegt. Da dröhnt auch schon ein Nebelhorn und dreihundert Meter vor uns passiert uns eine schwarze Wand. Mit Vollgas fahren wir hinter dem Heck des Frachters her, in der Hoffnung, das kein anderes Schiff bei dem Nebel dicht auffährt. Endlich erreichen wir ohne weiteren Kontakt den „Mittelstreifen“ des Trennungsgebietes und fragen bei der Coast Guard nach, wie der Verkehr in nordöstlicher Richtung aussieht. Es seien keine Schiffe unterwegs, aber für die Sicherheit unseres Schiffes seien wir natürlich selbst verantwortlich! Danke für die Belehrung und den Haftungsausschluss! Also wieder alle Augen auf, was auch nötig ist, denn erneut taucht ein Schiff unvermittelt im Nebel auf.

Vorbei geht's an der französischen, belgischen und niederländischen Küste Richtung Nordost, vorbei an riesigen Reedegebieten mit unglaublich vielen Schiffen vor Anker - ein Zeichen der Wirtschaftkrise? Samstags kurz vor Sonnenuntergang begleitet uns eine 5 köpfige Delphinfamilie auf dem Weg nach Nordost.

Schließlich erreichen wir nach zwei Tagen mit auffrischendem Wind Ijmuiden, wo wir am Sonntag, 3. Mai, um 11:45 Uhr nach einer Fahrzeit von 49 Stunden vor der Schleuse festmachen. Dieter geht von Bord, weil er eine Bavaria 34 von Lemmer nach Cuxhafen überführen will. Wir segeln den Nordseekanal nach Amsterdam und liegen um kurz vor vier 16:00 Uhr im Sixthaven fest. Duschen bei Blaulicht, etwas Ausruhen und dann abendlicher Bummel durch Amsterdam.

Am Montag legen wir 10:00 Uhr ab, durch Oranjesleuzen und Schellingwouderbrug geht es den Ij hinauf die letzte Etappe nach Lelystadhaven. Unterwegs grüßt aus der Ferne das Paard van Marken, der markante Leuchtturm der Halbinsel Marken. Mit achterlichen vier Windstärken testen wir die restlichen Spis, wobei ausgerechnet der pink „heavy duty reacher“ aus den Lieken fliegt. Das kann Hajo nicht erschüttern, der geniest das neue Schiff, wie es mit dem Wind anspringt, wie es leicht auf dem Ruder liegt und strahlt wie ein Honigkuchenpferd.

Endlich, aber eigentlich auch zu früh bei dem Wind und der Sonne, legen wir im Heimathafen an der Kade an, um unser Gepäck und Überflüssiges aus dem Boot auszuladen. Elke und Anke, unsere offshore-crew, sind mit zwei Autos da, um uns abzuholen. Dann die Fahrt in die neue Box E13 und die 320 sm Überführung ist Geschichte.

Wir wünschen dem neuen Schiff allzeit eine glückliche Fahrt.


Reinhold (Text) und Guido (Bilder)

Amsterdam Panorama 2009
GH_2009 04 29_0439
GH_2009 04 29_0442
GH_2009 04 30_0239
GH_2009 04 30_0240
GH_2009 04 30_0245
GH_2009 04 30_0253
GH_2009 04 30_0276
GH_2009 04 30_0322
GH_2009 04 30_0326
GH_2009 04 30_0350
GH_2009 04 30_0351
GH_2009 04 30_0353
GH_2009 04 30_0373
GH_2009 04 30_0392
GH_2009 04 30_0399
GH_2009 04 30_0410
GH_2009 04 30_0418
GH_2009 05 01_0197
GH_2009 05 01_0201
GH_2009 05 01_0208
GH_2009 05 01_0236
GH_2009 05 03_0000
GH_2009 05 03_0016
GH_2009 05 03_0044
GH_2009 05 03_0076
GH_2009 05 03_0086
GH_2009 05 03_0115
GH_2009 05 03_0120
GH_2009 05 03_0122
GH_2009 05 03_0125
GH_2009 05 03_0134
GH_2009 05 03_0161
GH_2009 05 03_0166
GH_2009 05 03_0175